von Karl Grünberg
Ein pensionierter Richter diskutiert an einer Schule über Recht und Gerechtigkeit, ein ehemaliger Techniker hilft Nachbarn bei Reparaturen – die Älteren haben viel Wissen weiterzugeben. Das Beste daran: Der Austausch zwischen den Generationen ist ein Geben und Nehmen.
Eine junge Frau hat ein Problem. Susanna ist 32 Jahre alt, ein Digital Native, aber ihr Tablet-PC funktioniert nicht mehr. Der Bildschirm bleibt schwarz. Ihre letzte Hoffnung ist das Nachbarschaftscafé im Berliner Stadtteil Pankow. Dort werden kaputte Gerätschaften repariert, von Lampen über Toaster bis zu Plattenspielern. Susanna setzt sich zu Hajo. Der 65-jährige Rentner war früher Medizintechniker. Heute ist er einer der ehrenamtlichen Helfer hier. Er weiß, wie Technik funktioniert und hat das nötige Spezialwerkzeug in seiner großen ledernen Tasche.
Zusammen öffnen sie vorsichtig das Tablet und schauen ins Innere. Dort scheint alles in Ordnung, nichts wackelt, nichts ist verschmort oder verdreckt. Hajo zuckt mit den Schultern. Susanna sucht auf ihrem Handy ein Video, in dem ein Experte Tipps gibt: Stecker zum Speicher trennen, die Batterie vollständig herausnehmen, dann wieder einsetzen und neu mit dem Speicher verbinden. Schritt für Schritt folgen Susanna und Hajo der Youtube-Anleitung. Schließlich schrauben sie das Gerät wieder zusammen. Susanna drückt auf den Power-Knopf: Der Bildschirm leuchtet. Geschafft! Hajo und Susanna klatschen einander ab.
Jung und Alt ergänzen sich
Dass Junge und Alte zusammenarbeiten und sich mit ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen ergänzen, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die in der öffentlichen Debatte manchmal untergeht. Ob es um die Rente geht oder um die Klimakrise, um Pflege und Krankenkassen, um den Arbeitsmarkt oder um Corona – immer wieder werden die Generationen gegeneinander ausgespielt: Mal wird den Jungen die Schuld zugeschoben, mal stehen die Alten angeblich einer Entwicklung im Wege oder bekommen mehr Rechte.
„Vom Generationenvertrag zum Generationenkonflikt – die Rente ist für junge Menschen ein Reinfall“, schreibt beispielsweise der Berliner Tagesspiegel. Oder: „In der Klimadiskussion hat das Ausspielen von Jung gegen Alt eine neue Qualität, man könnte auch sagen: einen neuen Tiefpunkt, erreicht“, bemerkt die FAZ. Und die Frankfurter Rundschau titelt: „Umgang der Generationen mit Corona: Junge Leute wissen doch gar nicht, was Krise bedeutet“.
Stereotypen von den Generationen
Die Berichterstattung bestätigt die Stereotypen, die von der jeweils anderen Gruppe existieren. Auf der einen Seite die Jugend, die unverantwortlich nur an sich denkt, vor allem nur feiern möchte und damit angeblich die Infektionszahlen in der Pandemie hochtreibt. Aus der Arbeitswelt hört man zudem, dass die jungen Menschen gar nicht mehr richtig anpacken können, weil sie sich die Finger nicht dreckig machen wollten.
Dem gegenüber steht die ältere Generation, die angeblich von der technischen Entwicklung abgehängt wurde und mit der vor allem Probleme und Sorgen assoziiert werden: Altersarmut, Krankheit, Einsamkeit. Manchmal gibt es Videohits auf Youtube, in denen ältere Menschen gefeiert werden, weil sie etwas tun, was scheinbar nur von jungen Menschen erwartet wird: tanzen, küssen, Lebensfreude zeigen. In den Kommentaren steht dann etwa: „So alt und dennoch so fröhlich, wie süß.“ Dabei geht die Perspektive darauf verloren, wie Jung und Alt einander bereichern können. Denn die Generation 55plus ist nicht nur hilfsbedürftig, sondern auch reich an Lebenserfahrung. Die Älteren haben Krisen gemeistert, Kinder großgezogen, einiges erlebt und überlebt.
»Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren und keinen Respekt vor den älteren Leuten.« (Sokrates zugeschrieben)
Alle Generationen unter einem Dach – das ist vorbei
Doch wie kam es zu dieser Entfremdung? Unterschiedliche Interessen und Konflikte zwischen den Generationen sind nicht neu. „Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte“, soll schon Sokrates geschimpft haben. Aber als alle Generationen unter einem Dach lebten, packte jeder mit an, alle wurden gebraucht und sei es, um löchrige Kleider zu stopfen. Mit der Industrialisierung und dem Aufkommen der Metropolen löste sich diese räumliche Nähe der Generationen nach und nach auf. Heute lebt jeder für sich. Die Kinder und Enkelkinder wohnen in der einen Stadt, die Großeltern häufig in einer anderen. Noch ältere Menschen leben in Seniorenheimen, eher am Rand.
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Senior-Experten in der Schule
Haben sich die Generationen also nichts mehr zu sagen? Streiten sie nur noch miteinander? Es kommt darauf an, wohin man schaut. In München hat sich beispielsweise die Monte-Balan-Schule das Aufeinandertreffen der Generationen auf den Unterrichtsplan geschrieben. „Diesen Krieg der Generationen haben wir bei uns nicht. Wir bauen hier Brücken“, sagt Anke Könemann, die die „Werkstatt der Generationen“ an der Schule leitet. Dafür bieten circa 50 bis 60 sogenannten Senior-Expertinnen und -Experten Projekte an. Aber nicht außerhalb des Unterrichts, sondern mittendrin und das mindestens einmal die Woche pro Klasse. „Die Expert*innen zeigen den Kindern, was sie selber am meisten begeistert“, erklärt Könemann.
Unter ihnen ein ehemaliger Richter, der mit den 9. Klassen den Film „Terror – Ihr Urteil“ von Ferdinand von Schirach anschaute und anschließend mit den Jugendlichen über Recht und Gerechtigkeit und das Justizsystem diskutierte. Eine andere Senior-Expertin war Kinderbuchautorin und hat mit jüngeren Kindern eines ihrer Bücher als Theaterstück inszeniert. Zwei Herren machen mit den Kindern physikalische Experimente. Die Senior*innen gehen mit den Schülern ins Museum und in den Wald. Sie gärtnern, kochen oder arbeiten mit ihnen in der Holzwerkstatt.
„Je nach Talent und Interesse“, erklärt Könemann. „Die Älteren sind Teil unserer ziemlich breiten Gemeinschaft. Sie werden gebraucht und fühlen sich beschwingt. Eine Dame berichtet, dass sie weniger Schmerzmittel nehmen muss, weil sie so glücklich ist.“ Die jüngsten Expert*innen seien um die 60 Jahre, die älteste sogar 109. Das Lehrerteam begleitet die Unterrichtsstunden und hilft den Expert*innen dabei, ihr Wissen in eine pädagogische Form zu bringen. Die Kinder profitieren vom Wissensschatz und von der Lebenserfahrung der Älteren. Doch vor allem sei es die Begeisterung der Senior-Expert*innen, mit der es ihnen gelinge, die Kinder anzustecken, sagt Könemann.
»Die beiden waren ein Traumpaar. Sie diskutierten über Politik, kochten zusammen und gingen zusammen in Kunstaustellungen.«
Die einen bringen Zeit mit, die anderen ihr Wissen
Am Austausch zwischen den Generationen arbeitet auch der Verein „Freunde alter Menschen“. Jüngere besuchen Ältere, um diese vor Einsamkeit zu bewahren. Das Besondere: Auch wenn die Jüngeren vordergründig etwas für die Älteren „tun“, findet die Begegnung auf Augenhöhe statt. „Es ist wie eine normale Freundschaft, bei der zwei Menschen aufeinander zugehen und sich austauschen“, sagt Simone Sukstorf vom Verein.
Der Verein vermittelte zum Beispiel den Kontakt zwischen einem pensionierten Architekten und einem Architekturstudenten. Zusammen erkundeten sie die Stadt, schauten sich alte und neue Bauwerke an und diskutierten über deren Struktur und Ästhetik. Oder die alte Dame, die schwerbehindert in Hamburg lebt. Sie wurde von einer jungen Frau besucht, die aus dem Sudan nach Deutschland migriert war, Deutsch lernen wollte, aber auch Anschluss an die Gesellschaft suchte. „Die beiden waren ein Traumpaar. Sie diskutierten über Politik, kochten zusammen, mal deutsch, mal afrikanisch und gingen zusammen in Kunstaustellungen“, berichtet Sukstorf. Das Schöne sei, dass beide Seiten etwas davon haben. Die einen bringen ihre Zeit mit, die anderen ihr Wissen und ihre Lebenserfahrung.
Unsere Gesellschaft wird immer älter. Zugleich sind die Menschen, die in den Ruhestand gehen, fitter und aktiver als je zuvor. Sie tragen einen Schatz aus beruflichen und persönlichen Erfahrungen in sich, der darauf wartet, weiter gegeben zu werden. Während Familien immer häufiger weit auseinander leben und der Zusammenhalt zwischen den Generationen loser wird, werden Vereine und Organisationen wichtiger, um die Begegnung zwischen den Generationen zu organisieren. Denn miteinander zu reden und zusammen etwas auf die Beine zu stellen, bringt uns zweifelos weiter, als im Konflikt zueinander zu stehen.
Gastbeitrag des Online-Magazins Prinzip Apfelbaum (Ausgabe No. 16) auf der Grundlage des darin erschienenen Beitrags von Karl. Grünberg. Alle Artikel und Ausgaben des Online-Magazins können Sie kostenlos lesen unter: www.das-prinzip-apfelbaum.de
Dies ist ein Gastbeitrag der “Initiative Apfelbaum – mein Erbe tut Gutes“. Die Stiftung Bildung benutzt eine gesellschaftlich bewusst reflektierte Sprache (bspw: mit*, Diskriminierungen vermeidend, Vielfalt der Gesellschaft sichtbar machen u.ä.) in all ihren eigenen Beiträgen, respektiert das Recht am eigenen Wort der*des Autor*in, veröffentlicht auf den eigenen Medien der Stiftung Bildung jedoch nur die der Compliance angepassten Texte.