Wenn Menschen ihren letzten Willen formulieren, sind materielle ebenso wie ideelle Werte zu bedenken. Der eigene Wille steht im Vordergrund. Doch es gibt Grenzen. Ein Gespräch mit Stephan Rißmann, Fachanwalt für Erbrecht, über seine Erfahrungen.
Herr Rißmann, über Erbschaften gibt es viel Streit, manchmal sogar bevor überhaupt die vererbende Person gestorben ist. Können Sie das bestätigen?
In meinem Besprechungszimmer hat sich einmal ein Ehepaar, das gemeinsam seinen Letzten Willen formulieren wollte, schwer zerstritten. Die beiden haben sich gegenseitig angeschrien. Daraufhin sagte ich ihnen, dass wir hier keine Familientherapie machen und verließ den Raum. Nach vier Wochen kamen sie erneut und entschuldigten sich. Wir sind im Endeffekt doch noch zu einem Ergebnis gekommen, mit dem beide Seiten einverstanden waren. Solche Szenen sind allerdings sehr seltene Ausnahmen.
Gibt es Konstellationen, die besonders schwierig sind?
Patchwork-Familien bergen nicht selten Konfliktpotenzial. Zwei Eheleute mit jeweils Kindern aus erster Ehe etwa. Für beide stellt sich die Frage: „Was sollen meine Kinder bekommen?“ Ist in solch einer Konstellation Wohneigentum vorhanden, behält in vielen Fällen der länger lebende Ehepartner zunächst das Wohnrecht. Aber wessen Kinder erben am Ende die Immobilie? Wer hat sie ursprünglich erworben und mit in die zweite Ehe gebracht? Wer ist zu welchen Teilen Miteigentümer*in? Dann kommt noch die emotionale Gemengelage hinzu, die selten offen auf dem Tisch liegt.
„Ein Interessenausgleich mit Angehörigen ist nicht das vorrangige Ziel.“
Welche Punkte sind beim Aufsetzen eines Testaments besonders heikel?
Im Prinzip muss da gar nichts heikel sein. Als Interessenvertreter meiner Mandant*innen achte ich vor allem darauf, dass ihr letzter Wille eindeutig formuliert ist. Sie sollen mir möglichst klar und deutlich sagen: „Das will ich!“ Ein Interessenausgleich mit Angehörigen ist dabei nicht das vorrangige Ziel. Ein Testament zu verfassen, ist ein persönliches Wunschkonzert. Niemand muss den letzten Willen begründen. Ich helfe dabei, diesen so zu formulieren, dass weder Missverständnisse aufkommen noch Spielräume für Interpretationen entstehen.
Aber viele Menschen werden doch auch die Interessen Ihrer Angehörigen bedenken?
Wenn eine Mandantin oder ein Mandant im Beratungsgespräch nicht richtig mit der Sprache herausrückt, merke ich das schnell. Oft stehen dann solche Konflikte im Raum: „Ich möchte etwas anderes als meine Angehörigen.“ Oder auch: „Meine Angehörigen haben völlig konträre Interessen, die sich von mir nicht lösen lassen.“ Für viele Menschen, die ein Testament aufsetzen wollen, ist ihr Anwalt oder ihre Anwältin der/die einzige Ansprechpartner*in bei diesem Thema. Mit Familienangehörigen und Freund*innen wird selten darüber gesprochen. Da ist Feingefühl gefragt. Dann besteht Erbrecht zu 95 Prozent aus Psychologie und lediglich zu fünf Prozent aus Jura.
„Die klassische Konstellation ist ein Konflikt zwischen Geschwistern, der noch aus Kindheitstagen herrührt: das Buddelkasten-Syndrom.“
Welche Rolle spielen familiäre Auseinandersetzungen?
Spätestens bei der Eröffnung des Testaments treten häufig Konflikte zutage, die lange im Stillen geschlummert haben. In der klassischen Konstellation ist das zum Beispiel ein Konflikt zwischen Geschwistern, der noch aus Kindheitstagen herrührt. Ich nenne dies das Buddelkasten-Syndrom: „Meine Schwester – oder mein Bruder – hat mir schon im Sandkasten das Förmchen geklaut und jetzt zahle ich es ihm heim!“ Da verbindet sich materielle Umverteilung mit sozialen Konflikten. Wem steht warum was genau zu oder eben nicht? Die Leute werden dabei teils hemmungslos. In Patchwork-Familien kann es noch komplizierter werden, weil teils familiäre Bindungen bestehen, teils aber nicht. Aus Rücksicht auf den Elternteil hat man sich zu dessen Lebzeiten noch freundlich gegenüber dem neuen Partner oder der neuen Partnerin verhalten. Nach dem Todesfall kann das aber ganz anders aussehen.
In welchen Fällen sollte man seinen letzten Willen überdenken?
Knüpft man das Erbe an bestimmte Bedingungen, wird es schnell problematisch. Der Klassiker: Bestimmte Dinge dürfen nicht verkauft werden. Mit solchen Regelungen drangsaliert man die Erb*innen – oft unnötig. So kam einst eine Dame in meine Kanzlei, die ihr Haus gemeinsam mit ihrem Vater nach dem Krieg wieder aufgebaut hatte. Beide hatten dafür mühsam die Ziegel von zerbombten Häusern zusammengetragen. Nun sollten die drei Kinder das Haus zu gleichen Teilen erben. Weil der Dame so viel an ihrem Heim lag, sollten die Kinder sich mindestens einmal im Jahr dort treffen, möglichst auch ihren Urlaub dort verbringen. Zu dieser Idee habe ich meine Bedenken geäußert. Erst im dritten Gespräch habe ich die Dame von ihrem Vorhaben abgebracht. Sie wollte im Prinzip ja auch nicht, dass das geliebte Haus die meiste Zeit leer steht. Wenn den Kindern freisteht, die Immobilie zu verkaufen oder zu vermieten, kann eine andere Familie mit Kindern dort wieder übers ganze Jahr Leben hineinbringen.
„Beim Testament liegt die Tücke im Detail, harmlose Formulierungen können für Unklarheit sorgen.“
Gibt es typische Fehler oder Fallen beim Testament, vor denen Sie warnen?
Ich rate meist davon ab, zu Lebzeiten Vermögen zu übertragen. Wir wissen nicht, was noch kommt und wir sollten uns die eigenen Handlungspielräume deshalb bewahren. Vielleicht wird es notwendig, die Wohnung barrierefrei umzubauen, eine Pflege zu Hause soll finanziert werden oder man möchte sich den Lebensabend in der schicken Seniorenresidenz am Park gönnen? Ansonsten kann ich nur dazu raten, für ein Testament immer professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sonst geht es regelmäßig schief. Was viele Menschen unterschätzen: Die Tücke liegt im Detail, harmlose Formulierungen können für Unklarheit sorgen. Dann stehen die Erb*innen da und fragen sich: „Wie ist der letzte Wille zu interpretieren?!“ Anwaltskosten für eine Testamentsberatung sind immer günstiger, als jeder Streit nach dem Todesfall – ganz abgesehen von den persönlichen Zerwürfnissen.
Stephan Rißmann ist seit über zwanzig Jahren ausschließlich im Erbrecht tätig. Er ist Fachanwalt und Spezialist für Erbrecht. Standorte seiner Kanzlei sind Berlin, Potsdam und Stuttgart.
Gastbeitrag des Online-Magazins Prinzip Apfelbaum, auf der Grundlage des darin erschienen Interviews „Erbrechtsanwalt: „Ein persönliches Wunschkonzert.““ von Lars Klaaßen, erschienen in der Ausgabe No. 16. Alle Artikel und Ausgaben des Online-Magazins können Sie kostenlos lesen unter: www.das-prinzip-apfelbaum.de
Dies ist ein Gastbeitrag der “Initiative Apfelbaum – mein Erbe tut Gutes“. Die Stiftung Bildung benutzt eine gesellschaftlich bewusst reflektierte Sprache (bspw: mit*, Diskriminierungen vermeidend, Vielfalt der Gesellschaft sichtbar machen u.ä.) in all ihren eigenen Beiträgen, respektiert das Recht am eigenen Wort der*des Autor*in, veröffentlicht auf den eigenen Medien der Stiftung Bildung jedoch nur die der Compliance angepassten Texte.