Interview mit den Großeltern: Wie war das damals?

Gastbeitrag des Online-Magazins Prinzip Apfelbaum

Ältere Menschen haben viel zu erzählen. Es lohnt sich, zuzuhören, Fragen zu stellen und auch nachzuhaken, um mehr über ihr langes Leben zu erfahren. Alles, was es dazu braucht: ein paar gute Fragen, mit denen man ins Gespräch kommt.

Es war beim 80. Geburtstag meines Opas. In seinem Lieblingsrestaurant hob er ein Glas seines Lieblingsweins und erzählte eine seiner vielen Geschichten. Wieder einmal. Ein bisschen haben wir mit den Augen gerollt, denn natürlich kannten wir sie schon. Und die nächste auch. Wie er damals, als es noch keine Mauer gab, immer in Westberlin ins Kino ging. Wie er mit seinen Eltern vor dem Krieg geflohen war, ganz bequem mit dem Zug. Wie er bei der wichtigsten Prüfung seines Lebens beim Nachbarn abgeschrieben hatte. Diese Geschichten hatten alle etwas gemeinsam: Immer schien er mit einer Portion Mut, Glück und Cleverness derjenige gewesen zu sein, der es doch irgendwie geschafft hatte.

Mir fiel auf, dass er nie erzählte, was eigentlich zwischen diesen Erfolgsmomenten passiert war, wenn es mal nicht so gut lief und er nicht der Clevere war. Was hatte er gedacht, als der Krieg näher rückte? Hatte er Angst, als die Mauer gebaut wurde und er nicht mehr einfach nach Westberlin konnte? Wie hatte er meine Oma kennengelernt? Und wie erging es ihm, als sie starb? War er auch mal gescheitert?

Zuhören lohnt sich

Ältere Menschen sind reich an Lebenserfahrung. Sie haben Lebenskrisen und berufliche Herausforderungen gemeistert, Kinder großgezogen und Partnerschaften durch die Jahrzehnte erlebt. Ich höre ihnen gerne zu. Solche Gespräche sind Zeitreisen. Da war diese sehr alte Frau, mit der ich in der Bäckerei ins Gespräch kam. Sie erzählte, dass es hier in meinem Westberliner Kiez einmal eine Windmühle gab und sogar Kühe, die tagsüber auf einer Wiese standen und abends im Hinterhof gemolken wurden. Ich konnte es kaum glauben. Auf einer Parkbank sprach mich einmal ein älterer Herr an, als ich Nachrichten in mein Handy tippte. Er erzählte mir, dass er früher viele Briefe geschrieben hatte. Lange Briefe an seine Eltern, Liebesbriefe an seine Frau, dutzende Briefe an seinen besten Freund. Alle Briefe, die er zurückbekommen hatte, lagen geordnet und archiviert in einer Kiste.

Nur meinen eigenen Opa hatte ich nie wirklich über sein Leben befragt. Auch meine Mutter und mein Onkel schienen sich davor zu scheuen. Als hätten sie Angst, Seiten von ihm kennenzulernen, die vielleicht nicht in ihr Vaterbild passten. Also verabredete ich mich mit meinem Opa zu einem Interview mit den Großeltern. Ich sagte ihm, dass ich über sein ganzes Leben sprechen wollte. Er war gleich Feuer und Flamme und machte sich sogar vorher Notizen.

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Interview mit den Großeltern – Eine Möglichkeit: chronologisch erzählen

Fünfmal haben wir uns getroffen. Nur er und ich, jeweils für zwei bis drei Stunden. Chronologisch habe ich mich durch sein Leben gefragt. Wir begannen mit der Kindheit im Breslau der 1930er Jahre und arbeiteten uns dann von Ereignis zu Ereignis vorwärts. Seine erste Liebe, der erste Kuss. Wichtig war es mir, auch die Details zu erfahren und dadurch seine Erinnerung anzuregen. Wo haben sie genau gewohnt? Wie sah das Kinderzimmer aus? Gab es ein Lieblingsspielzeug? Was las man damals? Welche Filme liefen im Kino? Durfte er als Kind auf der Straße spielen? Wann wurde das erste eigene Auto gekauft? Wie teuer war es, musste man lange sparen? Es gibt so viele Dinge, die ein Leben lebendig werden lassen, persönliche ebenso wie politische und gesellschaftliche Ereignisse. Wo war er, als Kennedy in Berlin war? Als die Mauer gebaut wurde? Als die erste Mondlandung stattfand?

Mut, auch unangenehme Fragen zu stellen

Für ein Interview braucht ist keine Reporterausrüstung notwendig, es reichen Stift und Papier, vielleicht die Aufnahme oder die Memo-Funktion im Smartphone. Die Fragen, die man stellen will, sollte man sich vorher gut überlegen und aufschreiben. Allerdings muss man dieser Liste mit Fragen nicht zwangsläufig folgen. Denn ein Interview nimmt häufig unerwartete Wendungen, denen man nachspüren sollte. Und man sollte den Mut haben, auch unangenehme Fragen zu stellen. Mitunter haben Jüngere mehr Angst davor, solche Fragen zu stellen, als die Älteren, sie zu beantworten. Die wichtigste Voraussetzung für ein gutes Interview zwischen den Generationen ist aber, dass eine Person bereit ist zuzuhören und die andere berichtet, ohne zu belehren.

Erinnerungen – ein ideelles Erbe

Mein Opa freute sich auf jedes Treffen. Wir sprachen über viele Details, die er längst vergessen hatte, und wir schauten uns verstaubte Fotoalben an. Allein sich diese Stunden Zeit zu nehmen, nur für uns, war für uns beide ein Geschenk. Ich habe von ihm gelernt, dass es sich lohnt, auch mal frech zu sein, Mut zu haben und sich von Regeln und Vorschriften nicht immer abhalten zu lassen. Oder auch, dass das Leben weitergehen kann. Als seine Frau starb, war er für mehrere Jahre allein. Dann traf er mit 60 Jahren seine zweite Frau und heiratete noch einmal.

Als mein Opa schließlich starb, blieben mir seine Erinnerungen. Ich verteilte Kopien der Aufnahmen an meine Familie. Alle waren sehr dankbar, dass ich das Interview geführt hatte.

Gastbeitrag des Online-Magazins Prinzip Apfelbaum, auf der Grundlage des darin erschienen Interviews „Interview mit den Großeltern: Wie war das damals?“ von Karl Grünberg, erschienen in der Ausgabe No. 16. Alle Artikel und Ausgaben des Online-Magazins können Sie kostenlos lesen unter: www.das-prinzip-apfelbaum.de

Dies ist ein Gastbeitrag der “Initiative Apfelbaum – mein Erbe tut Gutes“. Die Stiftung Bildung benutzt eine gesellschaftlich bewusst reflektierte Sprache (bspw: mit*, Diskriminierungen vermeidend, Vielfalt der Gesellschaft sichtbar machen u.ä.) in all ihren eigenen Beiträgen, respektiert das Recht am eigenen Wort der*des Autor*in, veröffentlicht auf den eigenen Medien der Stiftung Bildung jedoch nur die der Compliance angepassten Texte.

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