Kinder, wir müssen reden!

Gastbeitrag des Online-Magazins Prinzip Apfelbaum

Foto © Shraddha Mishra

Über Geld spricht man nicht, schon gar nicht über den Tod. Dabei könnten viele Erbstreitigkeiten durch ein Gespräch zu Lebzeiten verhindert werden. Das sollte allerdings gut vorbereitet sein. Bei möglichen Konflikten können professionelle Mediator*innen helfen.

Einen Streit ums Erbe würde es bei Ihnen nicht geben, denken Sie? Nun, viel häufiger als gedacht, tritt diese Hoffnung nicht ein. Oft brechen Konflikte um das Erbe in der Familie erst dann auf, wenn es zu spät ist. Ein Beispiel:

Ein Ehepaar kommt bei einem Autounfall ums Leben. Zurück bleiben zwei erwachsene Kinder. Die Tochter, eine erfolgreiche Ärztin, glücklich verheiratet, drei Kinder. Der Sohn, getrennt lebend, zwei Töchter, hält sich mit Übersetzungen gerade so über Wasser. Das verunglückte Ehepaar war umsichtig genug und hatte vorgesorgt. Im gemeinsamen Testament bestimmten sie, dass ihr Erbe zu gleichen Teilen zwischen ihren Kindern aufgeteilt werden soll. Nur das Haus sollte allein an den Sohn gehen, um ihn zu entlasten und seinen Töchtern eine Ausbildung zu finanzieren. Dass ihr Bruder derartig privilegiert wird, ist ein Schock für die Tochter. Sie fühlt sich von ihren Eltern nachträglich zurückgesetzt. Das bislang gute Verhältnis zu ihrem Bruder kühlt sich deutlich ab. Dabei hätte sie diesem Letzten Willen sogar zugestimmt und auf einen Teil ihres Erbes verzichtet, wenn ihre Eltern ihr die Entscheidung bereits zu Lebzeiten verständlich erklärt hätten.

Erbstreitigkeiten wie diese sind kein Einzelfall. Fast jede fünfte Erbschaft, so eine Umfrage des Instituts Allensbach, endet im Streit. Dass Menschen alt werden, pflegebedürftig und irgendwann auch sterben, gehört noch immer zu den großen Tabus unserer Gesellschaft. Auch über das Erben und Vererben sprechen wir nicht gern. Verschämt versuchen wir das Thema zu vermeiden, egal ob es um uns selbst geht oder um einen uns nahestehenden Menschen. „Lieber gar nicht daran denken!“, lautet eine typische Abwehrreaktion. Sich damit auseinanderzusetzen, kostet uns große Überwindung.

Fast jede fünfte Erbschaft endet im Streit, häufig sogar vor Gericht.

Im Streit ums Erbe geht es nicht nur um Geld

Wie wichtig es ist, den Letzten Willen rechtzeitig zu klären und mit allen Beteiligten zu besprechen, zeigen nicht zuletzt die zahlreichen Erbstreitigkeiten, die vor Gericht landen. Dabei geht es nicht nur ums Geld. Es geht um Emotionen, fehlende Liebe und mangelnde Anerkennung. Jede Erbschaft birgt die Gefahr, dass alte Wunden und lange schwelende Konflikte in der Familie aufbrechen. Der Streit über ein missverständliches Testament oder eine ungleiche Erbteilung vergiftet nicht nur das Verhältnis zwischen den Erb*innen. Letztlich kann eine ganze Familie darüber auseinanderbrechen, und zwar über Generationen. Nicht zu vergessen: Eine gerichtliche Auseinandersetzung kostet viel Geld und Zeit.

Erbengespräch hilft, Bedürfnisse zu klären

„Konfliktfrei vererben“ heißt deshalb das Buch, das der Unternehmensberater und Coach Hubertus A. Jonas mit seinem Sohn, dem Sozialpsychologen Kai J. Jonas, geschrieben hat. Jonas betont, dass der Letzte Wille nicht nur ein juristisches Papier sei, sondern vor allem eine Möglichkeit, zu gestalten. „Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um Inhalte.“ Auf dem Weg zu dieser schwerwiegenden Entscheidung sollte deswegen nicht an erster Stelle die Beratung durch Rechtsanwält*innen oder Steuerberater*innen stehen. „Damit gerät man schnell in die üblichen Denkschemata von Steuerersparnis und formellen Kriterien.“

»Je besser die künftigen Erben den Letzten Willen nachvollziehen können, desto eher werden sie diesem zustimmen.«

Stattdessen rät Jonas zu einem Erb*innengespräch, um die Wünsche und Bedürfnisse aller Beteiligten herauszufinden. Wer möchte einmal Großvaters Uhr übernehmen? Wer interessiert sich für die Antiquitäten? Wer benötigt eher Geld? Auch künftige Erblasser*innen sollten ihre Wünsche und Pläne äußern und gut erklären. Sie können erläutern, welche Sorgen sie umtreiben, und welche „Sorgenkinder“. Sie können erklären, warum sie das Erbe in einer bestimmten Weise aufteilen wollen. Einen Teil des Vermögens wird zudem für den eigenen Lebensabend gebraucht. Vielleicht soll eine Leidenschaft für ein Thema oder ein bestimmtes Engagement auch nach dem Tod fortgesetzt werden. Dabei gilt: Je besser die künftigen Erb*innen den Wunsch und den Letzten Willen nachvollziehen können, desto eher werden sie diesem auch zustimmen und ihn umsetzen.

Aber Vorsicht, das Erbengespräch sollte lediglich ein Anfang sein: „Lassen Sie sich nicht dazu hinreißen, während des Treffens voreilige Beschlüsse zu fassen! Schließlich geht es um eine Entscheidung, die viel Zeit braucht und wohl abgewogen sein muss“, rät Hubertus A. Jonas.

Selten geht es nur ums Geld. Oft brechen alte Wunden wieder auf.

Gute Vorbereitung verhindert Erbstreitigkeiten

Umso wichtiger ist eine gute Vorbereitung. Jonas empfiehlt, zunächst Listen anzulegen, um sich Klarheit zu verschaffen: Was habe ich zu vererben? Wer sind meine Erb*innen, und mit welcher Priorität möchte ich sie bedenken? Zu einem Erb*innenengespräch sollten dann nur diejenigen eingeladen werden, die tatsächlich beim Erbe berücksichtigt werden sollen. Bleibt dabei jemand außen vor, sollte man die Entscheidung persönlich und individuell erläutern.

Konflikte innerhalb der Familie voraussehen

Auch auf die absehbaren Konflikte, die bei einem solchen Gespräch aufbrechen können, sollte man sich so gut wie möglich einstellen. Hat sich eines der Kinder schon immer benachteiligt gefühlt? Gibt es Eifersucht zwischen Kindern aus erster und zweiter Ehe? Werden die Geschwister einen Ausgleich für die Vergütung fordern, die eine der Töchter für die Pflege der Mutter erhält? – Die möglichen Probleme und Konfliktherde unterscheiden sich je nach Familienkonstellation. Und weil es eben auch um Emotionen geht, können sie schon bei kleinen Vermögen auftreten.

Aus Erfahrung weiß Buchautor Jonas allerdings, dass viele schwelende Konflikte unterschätzt werden. Und immer wieder kommt es zu Überraschungen. „Ein Unternehmer, den ich beraten habe, war überzeugt, dass sein ältester Sohn ein würdiger Erbe für seine Oldtimer-Sammlung wäre. Es stellte sich heraus, dass der Sohn überhaupt kein Interesse an den Wagen hatte, sondern lieber ein idyllisches Grundstück erben wollte, um sich ein Haus zu bauen. Die haben sich derartig übereinander geärgert, dass sie monatelang nicht mehr miteinander gesprochen haben.“

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Regeln für das Gespräch mit den Erb*innen aufstellen

Jede Familie hat ihre eigene Art zu kommunizieren. In einigen werden die großen Themen eher im Zweiergespräch als in der großen Runde ausgetragen. In manchen wird es auch gerne mal lauter. In anderen herrscht schon lange Schweigen. Auch das sollte beim Gespräch mit den Erb*innen berücksichtigt werden. Jonas rät deshalb, zuvor Verhaltensregeln aufzustellen, damit alle Beteiligten ihre Bedürfnisse äußern können, ohne unterbrochen zu werden. „Vordergründig geht es um die Aufteilung des Erbes. Doch sehr oft eskaliert der Streit, weil alte Verletzungen wieder hochkommen“, so Jonas. „Eine komplexe Situation – zumal durch die Erbschaft Familien vereinigt werden, die sich teilweise seit Jahren nicht mehr gesehen haben.“

Wenn nichts mehr hilft: Mediator*innen einbinden

Wenn absehbar ist, dass sich der Konflikt nicht innerhalb der Familie lösen lässt, können Mediator*innen helfen. „Ich bin oft derjenige, der ausspricht, was vielleicht alle insgeheim wissen, aber keiner sich zu sagen traut“, erzählt der Berliner Rechtsanwalt und Mediator Christoph Paul. Seine Aufgabe sieht er vor allem darin, eine Atmosphäre der Offenheit und der Wertschätzung zu schaffen. Das Gespräch könne nur gelingen, wenn sich alle mit Respekt begegneten, erklärt Paul. Deswegen versucht er beispielsweise, dem Vater die guten Seiten seines vermeintlich missratenen Sohnes näherzubringen und umgekehrt beim Sohn Verständnis für den Vater zu wecken. Doch in manchen Familien ist der Faden gerissen. Paul erinnert sich an einen älteren Mann, der große Angst davor hatte, Kontakt mit der seit Jahren „verlorenen“ Tochter aufzunehmen. „Am Ende habe ich die Tochter angerufen und mit einer Art Shuttle-Mediation die beiden wieder zusammengebracht.“

Mediation ist ein Anfang, aber kein Allheilmittel

Eine objektiv gerechte Lösung zu finden, das sei bei vielen Erbschaften kaum möglich. Gerecht sei eine Erbteilung dann, wenn sie von allen Beteiligten als gerecht empfunden werde, sagt Paul. Die Mediation schafft den Rahmen dafür, dass ein Gespräch möglich wird. Doch es gibt Grenzen: „Manche Leute wünschen sich eine allumfassende Befriedung der Familie. Das ist aber kaum zu schaffen, wenn diese seit Jahren zerstritten ist. Ich bin kein Familientherapeut.“ Andererseits habe er noch keinen Fall abgelehnt. „Ich hatte drei Brüder hier. Sie streiten sich noch immer über die geerbten Immobilien. Aber immerhin konnten sie sich darüber einigen, wie sie den Hausrat ihres Elternhauses aufteilen. Damit sind sie einen Schritt weiter.“

»Mit meiner Erbschaft hinterlasse ich auch einen Teil von mir selbst. Ich muss mich also fragen, was ich hinterlassen möchte, Streit oder Einigkeit?«

Das Erb*innengespräch kann auch wie ein Katalysator wirken. Etwa dann, wenn ein alter Familienkonflikt zum ersten Mal offen und versöhnlich besprochen wird. „Es kann passieren, dass Eltern an den Punkt kommen, einzugestehen, dass eines ihrer Kinder es im Leben immer schwerer hatte als die anderen, und dass auch sie selbst es diesem Kind nicht leicht gemacht haben. Und wenn die Entscheidung, dieses Kind beim Erbe zu bevorzugen, schließlich von der ganzen Familie geteilt wird, sind das für mich die Sternstunden der Mediation“, sagt Paul.

Man kann sich mit dem Tod aus der Verantwortung stehlen oder sie annehmen. Zweifellos kostet es viel Mut, mit allen Beteiligten offen über den letzten Willen zu sprechen. Aber es lohne sich, meint Buchautor Hubertus A. Jonas. „Denn mit meiner Erbschaft hinterlasse ich auch einen Teil von mir selbst. Ich muss mich also fragen, was ich hinterlassen möchte, Streit oder Einigkeit?“

Gastbeitrag des Online-Magazins Prinzip Apfelbaum, auf der Grundlage des darin erschienen Interviews „Erbrechtsanwalt: „Kinder, wir
müssen reden!“” von Wibke Bergemann, erschienen in der Ausgabe No. 2. Alle Artikel und Ausgaben des Online-Magazins können Sie kostenlos lesen unter: www.das-prinzip-apfelbaum.de

Dies ist ein Gastbeitrag der “Initiative Apfelbaum – mein Erbe tut Gutes“. Die Stiftung Bildung benutzt eine gesellschaftlich bewusst reflektierte Sprache (bspw: mit*, Diskriminierungen vermeidend, Vielfalt der Gesellschaft sichtbar machen u.ä.) in all ihren eigenen Beiträgen, respektiert das Recht am eigenen Wort der*des Autor*in, veröffentlicht auf den eigenen Medien der Stiftung Bildung jedoch nur die der Compliance angepassten Texte.

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