von Angelika S. Friedl
Der Stanford-Psychologe Philip Zimbardo hat sein Leben lang das Böse im Menschen erforscht – und dabei Formeln für das Gute entdeckt. Er ist überzeugt: Jede*r kann ein*e Held*in sein und lernen, das Richtige zu tun. Und jede Heldentat beeinflusst auch andere Menschen in ihrem Handeln.
Manchmal beweisen Menschen einen außerordentlichen Mut. Bei Ausschreitung zwischen Black Lives Matter-Aktivisten und rechten Gegendemonstranten ging im vergangenen Jahr in London ein Hooligan zu Boden und wurde von dem schwarzen Demo-Teilnehmer Patrick Hutchinson aus dem Gedränge getragen – das Bild ging durch die Medien. In Frankreich wurde Mamoudou Gassama als Held gefeiert, nachdem er 2018 an einem Pariser Wohnhaus von Balkon zu Balkon hochgeklettert war, um einen Vierjährigen zu retten, der an einem Geländer hing. In Dhaka rettete der Arbeiter Didar Hossein 2013 unter Lebensgefahr 34 Menschen aus den Trümmern einer eingestürzten Textilfabrik. Drei beeindruckende Beispiele. Doch längst nicht alle Vorfälle, in denen jemand einschreitet und sogar sein eigenes Leben aufs Spiel setzt, werden überhaupt bekannt.
»Helden treten auf den Plan, wenn wir „Normalos“ nicht den nötigen Mut aufbringen, gegen Unrecht anzukämpfen oder akutes Unheil abzuwenden.«
Wir nennen solche Menschen Heldinnen und Helden. „Sie zeigen uns, was uns als Menschen möglich ist, aber sie tun zugleich etwas Außeralltägliches. Sie treten auf den Plan, wenn wir „Normalos“ nicht den nötigen Mut aufbringen, gegen Unrecht anzukämpfen oder akutes Unheil abzuwenden“, sagt Arnd Pollmann, Professor für Ethik und Sozialphilosophie an der Alice Salomon Hochschule Berlin.
Sich mutig zu zeigen, galt und gilt auf der ganzen Welt als Tugend. Der griechische Philosoph Aristoteles meinte sogar, dass nur ein mutiger Mensch glücklich werden kann. Als gutes Leben galt für ihn ein Leben, mit dem man im Rückblick zufrieden ist. Dafür brauchen wir vor allem auch Mut. Ohne Mut würden wir viele unserer Wünsche und Ziele nicht umsetzen. Mutig sein, eine Heldin sein, das kann man sogar lernen, sagt der US-Sozialpsychologe Philip Zimbardo.
Banalität des Heldentums
Zimbardo galt lange als der Experte für das Böse. Er initiierte das berühmte „Stanford Prison Experiment“. In der Studie wurde eine Gefängnissituation simuliert, bei der männliche Studenten als Wärter und Gefangene eingeteilt wurden. Innerhalb weniger Tage verwandelten sich die Wärter zu Tyrannen. Die Situation eskalierte derartig, dass das Experiment abgebrochen werden musste. Doch die Mechanismen, die Menschen dazu bringen, Böses zu tun, funktionieren laut Zimbardo auch umgekehrt.
Zimbardo glaubt, dass „jeder von uns eine potenzieller Held ist, der auf einen Moment des Lebens wartet, um eine heroische Tat zu vollbringen“. Frei nach Hannah Arendt spricht er von der „Banalität des Heldentums“: Denn genauso wie ganz normale Menschen unter bestimmten Umständen in der Lage sind, Furchtbares zu tun, gehört nach seiner Auffassung auch das Heldentum zur menschlichen Natur. Wir können uns also vom Mythos des auserwählten Helden verabschieden: Heldenhafte Taten sind für jeden von uns möglich.
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Heroische Taten imaginieren
Philip Zimbardo fordert uns auf, uns mental vorzustellen, auf welche Weise wir zukünftig auf eine gefährliche oder fordernde Situation reagieren wollen. Um dann im Ernstfall wirklich mutig zu handeln. „Heroic Imagination“ nennt er die Übung. Dabei sollen wir uns zum einen vorstellen, dass wir aufmerksam sind für das, was um uns herum passiert. Zweitens uns unserer Werte bewusst sein und drittens die Konsequenzen eines Ereignisses bedenken. Mit seinen Kolleg*innen hat Zimbardo ein Programm entwickelt, das Heroic Imagination Project, das Menschen vorbereiten soll, im entscheidenden Moment das Richtige zu tun.
Seit zehn Jahren wird das Training weltweit unterrichtet, in Deutschland durch den Verein Helden e.V.. In den Workshops der „Heldenakademie“ lernen Jugendliche, wie sie sich unter anderem gegen Cybermobbing und Rassismus wehren können. „Wenn ich für die Mechanismen sensibel bin, die mich manipulieren, kann ich mich dagegen wehren“, sagt Thorsten Kröber, Geschäftsführer des Vereins. „Das zeigt zum Beispiel die Wiederholung des Stanford Experiments im Jahre 2002. Das Ziel war, die Ergebnisse von 1971 zu replizieren. Das hat aber nicht geklappt. Warum? Weil die meisten Teilnehmer*innen das Experiment kannten und aus den Fehlern von damals gelernt hatten.“
Nicht wegschauen, wenn Unrecht geschieht
Eine der wichtigsten Lektionen in Zimbardos Heldentraining handelt vom sogenannten Bystander- oder Zuschauereffekt. Er wurde mittlerweile in zahlreichen Studien nachgewiesen. Wenn zum Beispiel der erste Zuschauende in einer brenzligen Situation passiv bleibt, folgen diesem Verhalten sehr oft auch weitere Zuschauer*innen, die dazukommen. Dann kann es passieren, dass niemand einen am Boden liegenden Menschen fragt, ob er Hilfe braucht. In ihren Seminaren zeigen Kröber und die anderen Trainer, wie schnell sich Grenzen verschieben können, wenn jemand sie ausreizt und niemand Stopp sagt.
In einem weiteren Modul des Heldentrainings geht es darum, die innere Haltung zu ändern und innerlich zu wachsen, „growth mindset“ auf Englisch. Wenn wir nicht glauben, dass wir uns durch eigene Anstrengung verbessern können, werden wir kaum erfolgreich sein. Ein drittes Modul des Trainings enthält das Thema Stereotype, also welche Vorurteile mit einem bestimmten Aussehen oder Verhalten verbunden sind – negative ebenso wie positive, andere betreffend oder einen selbst.
„Wir zeigen den Kindern mit Spielen, dass man nicht immer die eigene Rolle bestimmen kann, sondern dass andere mir eine Rolle zuschreiben und ich dann sogar diese Rolle übernehme“, erklärt der Erlebnispädagoge Kröber. „Für die Persönlichkeitsentwicklung ist es aber wichtig zu erkennen, dass man die Rollen Klassenclown oder cooler Typ nicht übernehmen muss, sondern selbst entscheiden kann, was man heute sein will“.
»Es ist für eine Gesellschaft kein Kompliment, wenn die Sehnsucht nach heroischer Veränderung erwacht. Aber Menschen brauchen Vorbilder.«
Menschen brauchen Vorbilder
Aber brauchen wir heutzutage überhaupt noch den Begriff des Helden oder der Heldin? Dem Soziologen Ulrich Bröckling sind Heldenfiguren suspekt. Sie würden keine Probleme lösen, sondern seien nur Problemanzeiger. „Heldenbewunderung und Heldenverehrung sind kein Empowermentprogramm, sondern eine Schule der Resignation“, wie er in seinem Buch „Postheroische Helden. Ein Zeitbild“ schreibt.
Ganz anderer Ansicht ist der Philosoph Arnd Pollmann: „Wenn Heldinnen und Helden notwendig werden, liegt gesellschaftlich etwas im Argen. Es ist für eine Gesellschaft kein Kompliment, wenn die Sehnsucht nach heroischer Veränderung erwacht. Aber Menschen brauchen Vorbilder“. Weil Gesellschaften immer auch Krisen, Missstände und Defizite aufweisen, werden auch Menschen gebraucht, die Außeralltägliches leisten. „Sie haben begriffen: Man sollte mit sich selbst im Reinen sein, in den Spiegel schauen können und vorangehen, statt mit dem Finger auf andere zu zeigen. So entsteht Glaubwürdigkeit – und eben auch Vorbildlichkeit“.
Ein Dominoeffekt
Wie wichtig solche Vorbilder sind, haben mittlerweile zahlreiche Studien gezeigt. „Wir haben herausgefunden, dass Helden inspirieren, motivieren und positive Gefühle über uns selbst und andere verstärken“, sagt Leiterin Elaine Kinsella einer irisch-amerikanische Studie von 2015. „Sie dienen als Vorbilder für moralisches und ethisches Verhalten und steigern das Gefühl von Sicherheit.“ Auch Philip Zimbardo hat in seinen Experimenten beobachtet, wie das couragierte Verhalten eines Einzelnen andere Menschen beeinflusst. Er spricht von einem positiven „Dominoeffekt“ und ist überzeugt: „Held*innen vermehren das Gute in der Welt.“
Gastbeitrag des Online-Magazins Prinzip Apfelbaum (Ausgabe No. 15) auf der Grundlage des darin erschienenen Beitrags von Angelika S. Friedl. Alle Artikel und Ausgaben des Online-Magazins können Sie kostenlos lesen unter: www.das-prinzip-apfelbaum.de
Dies ist ein Gastbeitrag der “Initiative Apfelbaum – mein Erbe tut Gutes“. Die Stiftung Bildung benutzt eine gesellschaftlich bewusst reflektierte Sprache (bspw: mit*, Diskriminierungen vermeidend, Vielfalt der Gesellschaft sichtbar machen u.ä.) in all ihren eigenen Beiträgen, respektiert das Recht am eigenen Wort der*des Autor*in, veröffentlicht auf den eigenen Medien der Stiftung Bildung jedoch nur die der Compliance angepassten Texte.