Die vergangenen Tage haben erneut gezeigt, welche Bedeutung eine demokratische Zivilgesellschaft hat. In der Ukraine leistet sie humanitäre Hilfe vor Ort. An den Grenzen zu Polen trägt sie zur Erstversorgung der Menschen bei, die gerade flüchten. In Deutschland gibt sie der massiven Empörung hunderttausender Menschen über den Krieg und ihrem Einstehen für Frieden eine Stimme und mobilisiert zugleich materielle und finanzielle Hilfsleistungen für die Menschen selbst, aber auch die Zivilgesellschaft in der Ukraine.
Durch Russlands Handeln werden Grundsätze der staatlichen Souveränität, der Unantastbarkeit der Grenzen und der friedlichen Konfliktregulierung in Frage gestellt und verletzt. Die größten Leidtragenden des Konflikts sind die Menschen in der Ukraine. Viele Frauen haben sich mit ihren Kindern auf die Flucht begeben, während Männer im entsprechenden Alter im Land verbleiben und dieses verteidigen müssen. Unsere Gedanken und Hoffnungen sind in diesen Stunden und Tagen bei den Ukrainer*innen.
In den vergangenen Tagen wurde ebenso deutlich, in welchem Ausmaß die demokratische Zivilgesellschaft in Russland unter Druck steht. Menschen, die den Mut aufbringen auf die Straße zu gehen und für Frieden zu demonstrieren, werden zu Tausenden festgenommen und friedlicher Protest niedergeschlagen. Schon seit Jahren schrumpfen die Räume einer freiheitlich agierenden Zivilgesellschaft in Russland nicht nur; sie sind faktisch nicht mehr vorhanden.
Alle unsere ukrainischen Partner*innen stellen sich aktuell der Situation mit unbeschreiblichem Engagement unter unvorstellbaren Bedingungen. Die funktionierenden zivilgesellschaftlichen Netzwerke in der Ukraine scheinen derzeit ein wesentlicher Faktor der Resilienz des Landes in der Krisensituation zu sein. Das BBE hat durch gemeinsame Projekte mit dem ukrainischen Zivilgesellschaftsnetzwerk UACSN bis Ende 2020 einen Beitrag zu der Entwicklung geleistet und mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes die zivilgesellschaftliche Organisationsstärkung und den Netzwerkaufbau in der Ukraine gefördert. Wir fühlen uns in der Verantwortung unseren Partner*innen in der Ukraine in dieser schlimmen Situation bestmöglich zu helfen.
Vor diesem Hintergrund bezieht der BBE-Sprecher*innenrat Stellung. Wir drücken unsere volle Solidarität mit der demokratischen Zivilgesellschaft aus:
- Wir solidarisieren uns mit den Menschen in der Ukraine, die unter Einsatz ihres Lebens für Freiheit und Demokratie ihres Landes einstehen. Sie engagieren sich damit für uns und unsere gesamte europäische und internationale Friedensordnung. Diese Menschen verdienen unsere ganze Unterstützung.
- Es gilt, alles zu unternehmen, um dem zivilen Leben und zivilen Lösungen durch Verhandlungen Raum zu geben. Die militärische Logik muss durchbrochen werden, weitere militärische Eskalation ist zu verhindern. Sie wird viele weitere zivile Opfer mit sich bringen. Stattdessen ist ein internationales Bündnis gerade auch mit der Zivilgesellschaft und den friedenstärkenden Gegenkräften in Russland, Belarus und der Ukraine weiter aufzubauen und zu stabilisieren. Den Mitteln der zivilen Konfliktlösung muss dabei unbedingt wieder mehr Gehör verschafft werden.
- Die Zivilgesellschaft in der Ukraine darf nicht länger Ziel von Kampfhandlungen sein. Sie bedarf eines besonderen Schutzes.
- Die russische Regierung muss die Repression der demokratischen Zivilgesellschaft in Russland beenden.
- Solidarisch bekennen wir uns mit allen, die jetzt für Menschenrechte, Demokratie und Frieden einstehen – in diesem Sinne dürfen wir uns nun nicht auseinanderdividieren lassen. Die Verbindung in die russische Zivilgesellschaft ist weiter aufrecht zu erhalten. Auch gegen Widerstände müssen solche Kontakte, die eine Zusammenarbeit mit Deutschland und Europa wollen, weiter gepflegt werden.
- Es müssen sichere Fluchtkorridore aus der Ukraine in die benachbarten Staaten gewährleistet sein. Hier muss entschieden gelten: alle Menschen, die Hilfe benötigen, erhalten diese.
- Es darf keine rassistische Selektion oder Diskriminierung stattfinden. Die Aufnahme von Menschen mit Vertriebenen- und/oder Fluchterfahrung aus der Ukraine und auch aus anderen Ländern der Welt in Deutschland muss unbürokratisch ermöglicht werden.
- Strukturelle Hürden sind abzubauen und eine Willkommenskultur zu unterstützen, wie sie in der BBE-Mitgliedschaft seit langem, besonders intensiv seit dem Jahr 2015 aktiv weiterentwickelt und im BBE vernetzt wird.
- In dem durch das BMFSFJ geförderten Programm »Menschen stärken Menschen« und den bis Ende 2019 befristeten »Freiwilligendiensten mit Fluchtbezug« sind beispielsweise Unterstützer*innen-Netzwerke entstanden, in denen Wissen, Kompetenzen und Strukturen entwickelt wurden sowie wichtige Anlaufstellen, die Unterstützung leisten, Hilfe vermitteln das Ankommen und die Integration erleichtern.
- Bei allen Strategien und Überlegungen ist die Zivilgesellschaft in Deutschland angesichts ihrer Erfahrungen, Kompetenzen und der in den vergangenen Jahren wichtigen etablierten Strukturen und Netzwerke mitzudenken, fachlich einzubeziehen und förderpolitisch weiter zu unterstützen.
- Das BBE wird über sein Netzwerk die Koordination von Spenden unterstützen, die direkt der ukrainischen Zivilgesellschaft für deren wichtige Aktivitäten zukommen.
Der Sprecher*innenrat des BBE zur Situation in der Ukraine
Berlin, den 3. März 2022
Rainer Hub (Diakonie, Vorsitzender des BBE-Sprecher*innenrates)
Oleg Cernavin (Offensive Mittelstand, stellv. Vorsitzender des BBE-Sprecher*innenrates)
Olaf Ebert (Stiftung Bürger für Bürger, stellv. Vorsitzender des BBE-Sprecher*innenrates)
Katja Hintze (Stiftung Bildung, stellv. Vorsitzende des BBE-Sprecher*innenrates)
Friedemann Walther (Senatskanzlei Berlin, stellv. Vorsitzender des BBE-Sprecher*innenrates)
Für die Geschäftsführung des BBE Dr. Ansgar Klein und Dr. Lilian Schwalb