Gemeinsames Positionspapier des Bildungsengagements zum Startchancen-Programm der Bundesregierung – PDF-Download
Berlin, 27.10.2022
Sehr geehrte, liebe Frau Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger,
sehr geehrte*r, liebe*r Mitglieder des Bundestages,
sehr geehrte, liebe Kultusminister*innen,
als Vertretungen des bundesweiten Bildungsengagements – Bundesschülerkonferenz (BSK), Bundeselternrat (BER), Bundeselternvertretung der Kinder in Kindertagesstätten und Kindertagespflege (BEVKi), Bundesverband der Kita- und Schulfördervereine e.V. (BSFV) und Stiftung Bildung- begrüßen wir die Einrichtung des Startchancen-Programms, um Schulen mit den größten Herausforderungen die Chance zu ermöglichen, beste Bildung für ihre Schüler*innen anbieten zu können und 4.000 allgemein- und berufsbildenden Schulen mit besserer Infrastruktur, einem Chancenbudget, Schulpsycholog*innen und (mehr) Sozialarbeiter*innen auszustatten.
Damit das Programm zielgerichtet, langfristig nachhaltig und bestmöglich wirken kann, empfehlen wir es thematisch breit zu denken und das zivilgesellschaftliche Bildungsengagement bei der Konzeption und Umsetzung frühzeitig einzubinden.
Bereits 2017 empfahl die spendenfinanzierte Stiftung Bildung im Vorfeld der Bundestagswahl bundesweit einheitliche Kriterien zu entwickeln, anhand derer eine Liste der ärmsten Kommunen Deutschlands erstellt wird, um dort gezielt in die Bildungseinrichtungen zu investieren. Denn es sind diese Stadtteile und Orte, in denen die Kinder die schlechtesten Bildungschancen haben.
Wir begrüßen es daher sehr, dass die Ampel-Koalition in ihrer Regierungszeit mit dem Startchancen-Programm dieses Thema jetzt angehen wird. Allerdings reichen Personal und Ausstattung allein nicht aus. Damit das Startchancen-Programm zu einer chancengerechten, Demokratie fördernden, zeitgemäßen, inklusiven, nachhaltigen und partizipativen Bildung beitragen kann, empfehlen wir Folgendes
Chancenbudgets
Wir begrüßen die Einführung des Chancenbudgets als eine der zentralen Säulen im Startchancen-Programm. Um Mitbestimmung, Flexibilität und den bedarfsgerechten Einsatz der Chancenbudgets zu garantieren, empfehlen wir, die Budgets auch für Quick-Wins und schnelle Investitionen, die an Zielvereinbarungen gebunden sind, zu verwenden.
Schulen sind einem stetigen Wandel unterworfen und müssen sich ständig weiterentwickeln. Individuelle Schulvereinbarungen und variierende Bugdethöhen auch über die Zeit im Rahmen der Chancenbudgets, erlauben den flexiblen und bedarfsgerechten Einsatz der Förderungen.
Neben dem flexiblen Einsatz und der schulspezifischen Bedarfsorientierung der Chancenbudgets empfehlen wir, Mitbestimmungsmöglichkeiten der Schüler*innen über die Verwendung der Budgets fest im Startchancen-Programm zu verankern. So kann das Programm echte Beteiligung ermöglichen, Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen sowie Kinder und Jugendliche empowern, sich einzubringen und die eigene Lebenswirklichkeit mitzugestalten, denn sie sind die größten Expert*innen ihrer Schule und ihrer eigenen Bedarfe.
Gebundener Ganztag
Wer Chancengerechtigkeit möchte, muss auch genügend Schulen mit gebundenem Ganztag ermöglichen. Dies ist ein geeignetes Instrument, um Qualität in der Betreuung zu erhöhen, alle Kinder und Jugendlichen unabhängig ihres sozioökonomischen Hintergrunds zu erreichen und in ihrer Entwicklung zu fördern. Zudem leistet der gebundene Ganztag einen wichtigen Beitrag zur Vereinbarkeit von Beruf, Familie und ehrenamtlichem Engagement und somit zu mehr Gleichberechtigung und wirtschaftlicher Sicherheit der Familien. Aber insbesondere für die Kinder und Jugendlichen bietet der gebundene Ganztag eine Möglichkeit Lernen, Freizeit, Hausaufgaben, soziale Begegnungen und vieles mehr im Rahmen der Schule zu erleben -dies abwechselnd mit Unterrichtseinheiten und Teamprojekten.
Gesunde Ernährung und Bewegung
Studien zeigen, dass es einen direkten und indirekten Zusammenhang zwischen Bildung und Gesundheit gibt: Menschen mit geringer Bildung weisen einen besonders schlechten Gesundheitszustand und erhöhte gesundheitliche Risikofaktoren auf. Neben Präventionsmaßnahmen sind Lebensverhältnisse und Teilhabechancen Ansatzpunkte, um die Gesundheit des Einzelnen zu verbessern. Daher empfehlen wir: Verankern Sie Ernährung/Gesundheit und verstärkte Bewegungsangebote fest im Startchancen-Programm. Sie können so gesundheitlichen Ungleichheiten frühzeitig entgegenwirken.
Vielfalt und Inklusion
Gesellschaft ist vielfältig und heterogen. Sie ist dann stabil und kann mit Herausforderungen, Krisen und Unterschiedlichkeit umgehen, wenn wir einen guten gesellschaftlichen Zusammenhalt leben sowie gelebte Vielfalt und Inklusion Standard sind. Wir empfehlen im Rahmen des Startchancen-Programms von vornherein diese Themen mit einem hohen Augenmerk zu berücksichtigen und Vielfalt zu wertschätzen. Konkrete Beispiele sind die Förderung und Gleichwertigkeit der Mehrsprachigkeit, Achtsamkeit für die individuellen Bedürfnisse und Voraussetzungen sowie gelebte Interkulturalität und vieles mehr.
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
Das Konzept “Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)” befähigt Menschen zu zukunftsgerichtetem Denken und Handeln. Schulen, die bereits jetzt BNE verankern und sich zu nachhaltig handelnden Einrichtungen entwickeln, sind Erprobungsräume für gelingendes Miteinander, gelebte Demokratie und sind Innovationstreiber. Von alldem profitieren Gesellschaft und die Schüler*innen enorm; sie starten bestens vorbereitet in das Berufsleben und in die eigene Zukunft, gestalten Gemeinschaft und lernen soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit. BNE ermöglicht Schüler*innen mit den aktuellen multiplen Krisen und Herausforderungen umzugehen, die neue Lösungen und nachhaltiges Handeln verlangen. Daher empfehlen wir: Machen Sie das Startchancen-Programm auch zum BNE-Beschleuniger mit BNE-Vorreiterschulen, sodass alle Schulen deutschlandweit davon profitieren werden.
Ressourcen bedeuten Zeit und Geld – und Geld für Zeit
Die Herausforderungen an Schulen sind gewachsen, komplexer denn je und erfordern mehr personelle und finanzielle Ressourcen – also mehr Zeit und Geld – sowie die Anpassung der Leitung und des Schulmanagements. Deswegen empfehlen wir im Startchancen-Programm zwei Personen im Schulleitungsmanagement mit folgenden Funktionen zu verankern: 1. Pädagogische Leitung sowie 2. Schulmanagement.
Neben mehr Ressourcen im Bereich der Schulleitung empfehlen wir Verwaltungskräfte und -assistenzen für die Schulen, so dass Lehrende und Pädagog*innen genügend Zeit für ihre Profession haben, aber auch zusätzliche formelle und informelle Bildungsangebote für die Schüler*innen organisiert werden und so zur Öffnung des Lern- und Lebensraum Schule beigetragen wird.
Prozess- und Schulentwicklungsbegleitung kontinuierlich und langfristig angelegt
Angesichts der vielfältigen Entwicklungsaufgaben mit denen Schulen in den unterschiedlichsten Bereichen wie beispielsweise Inklusion oder Digitalisierung konfrontiert sind, empfehlen wir eine nachhaltig konzipierte und partizipative Prozess- und Schulentwicklungsbegleitung für die geförderten Schulen durch das Startchancen-Programm zu ermöglichen. Der Lern und Lebensraum Schule ist aufgrund externer und interner Einflüsse einem ständigen Wandel unterworfen. Die daraus resultierenden Herausforderungen sind immens. Die Prozess-/Schulentwicklungsbegleitung muss im Rahmen des Startchancen-Programms leisten, dass Konzepte und Arbeitsformen entwickelt und umgesetzt werden, die zu mehr Qualität in der Bildung der Schüler*innen führen durch Beteiligung und Miteinander von Schüler*innen, Lehrenden, Sozialarbeiter*innen, pädagogischen Mitarbeitenden, Schulleitungen, Eltern und Engagierten der Schulfördervereine beitragen.
Einbindung des Bildungsengagements
Das Bildungsengagement ist mit 5,9 Millionen ehrenamtlich Engagierten bundesweit das zweitgrößte Engagementfeld in Deutschland. Es bündelt die Expertise und Meinung von Millionen Schüler*innen, Eltern, Lehrkräften, Erzieher*innen und Engagierten aller Genrationen. Durch derzeit laufende Bundesprogramme bspw. “Menschen stärken Menschen-Chancenpatenschaften” konnten bereits Erfahrungen gesammelt werden, was gut funktioniert und wo es Nachbesserungen braucht. Binden Sie das Bildungsengagement frühzeitig ein, dann wird das Startchancen-Programm zielgerichtet und nachhaltig im Sinne von Chancengerechtigkeit wirken.
Schulfördervereine sind das Tor hinein in die und hinaus aus der Schule für Engagement, Teilhabe und Know-how
Schulfördervereine setzen sich für Chancengerechtigkeit ein, in ihnen kommen die unterschiedlichsten Menschen aus der jeweiligen Schule und deren unmittelbarem Umfeld aller Generationen mit ihrer Zeit und ihrem Know-how zusammen. Sie alle haben das Ziel, Bildung für die Kinder und Jugendlichen an ihrem Standort besser zu machen, die nächste Generation zu begleiten und einen Beitrag für beste Bildung und mehr Chancengerechtigkeit zu leisten. Dafür engagieren sie sich mit ihrer Zeit und Expertise.
Das ist gelebte Demokratie, Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Gestaltung des Sozialraums. Schulfördervereine wissen, was der spezifische Bedarf einer bestimmten Schule ist, wo die Defizite sind und welche Lösungen gebraucht werden. Binden Sie die Schulfördervereine in der Umsetzung des Programms ein und eröffnen Sie Räume des Mitwirkens, sie haben die gleichen Ziele. Deswegen empfehlen wir, die vorhandenen Schulfördervereine einzubinden, zu professionalisieren, zu vernetzen und – sofern überhaupt notwendig, da es an 80-96% der Schulen bereits Schulfördervereine gibt*, – Neugründungen anzuregen. Besonders durch Qualifizierungen der Engagierten im Fundraising können die Schulfördervereine befähigt werden, auch über die Programmlaufzeit hinaus, zusätzliche schulische und außerschulische Projekte für die Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen, den Lern- und Lebensraum Schule zu öffnen und so zur nachhaltigen Gestaltung und beständigen Weiterentwicklung der Schulen beizutragen,
Verbunden mit großem Dank, stehen wir Ihnen mit Unterstützungsideen und unserer Expertise jederzeit gern zur Verfügung und verbleiben herzlichst
Vorstand Bundeselternrat (BER):
Christiane Gotte, Thorsten Sprenger, Alexandra Fragopoulos, Anika Susann Mey-Leske, Ines Weber
Sprecher*innen Bundeselternvertretung (BEVKi):
Sören Gerulat, Dr. Kristin Junga, Stéphane Lacalmette, Katharina Queisser, Dr. Asif Stöckel-Karim
Bundessekretariat der Bundesschülerkonferenz (BSK):
Oliver Sachsze, Maximilian Henningsen, Rufus Franzen
Vorstand des Bundesverbands der Kita- und Schulfördervereine (BSFV):
Peter Gebauer, Joachim Bartz, Kay Dimmerling, Andreas Kessel
Vorstand Stiftung Bildung:
Katja Hintze, Andreas Kessel, Marco Splitt
Startchancen-Programm: thematisch breit aufstellen und Mitwirken des Bildungsengagements ermöglichen
Positionspapier: Startchancen-Programm (PDF-Datei)