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Das Forum Schule der Nationalen Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung hat angesichts der aktuellen beschleunigten Entwicklung der Digitalisierung in unseren Schulen ein Positionspapier „Unterricht der Zukunft“ erarbeitet, um auf die Zusammenhänge von Digitalisierung und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) hinzuweisen und Empfehlungen auszusprechen.
Klimawandel, Gefährdung der Ökosysteme, Ressourcenverknappung, Krieg, Gewalt, mangelnde politische Teilhabe, soziale Ungleichheit sowie die aktuelle Pandemie zählen zu den aktuellen globalen gesellschaftlichen Herausforderungen. Die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche begleitet und beeinflusst uns und unsere Kinder bei der zukünftigen Bewältigung dieser krisenhaften Entwicklungen. Sie wachsen daher in eine ganz andere Lebenswelt als die ihrer Eltern hinein. Die Klimaproteste der Jugendlichen und ihre selbstverständliche digitale Vernetzung sind jedoch ein Ausdruck dafür, dass diese Generation sich den Herausforderungen stellt. Sie fordern die Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens und der Sustainable Development Goals (SDGs) – der international verabredete Handlungsrahmen für alle Bereiche des politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Handelns. Er gilt auch für die Digitalisierung der Arbeits- und privaten Kommunikationsprozesse sowie der Bildungsprozesse.
Was muss Schule tun, um die Schüler*innen in Bezug auf nachhaltige Entwicklung in die Lage zu versetzen, individuelle Handlungsfähigkeit und gesellschaftliche Verantwortung entwickeln zu können? Der Erwerb dieser Zukunftskompetenzen ist der Leitgedanke von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Für die Entwicklung solch umfassender Gestaltungskompetenzen benötigen die Schulen in besonderem Maße Unterstützung. Schulische Bildung muss daher neu gedacht werden und Gegenwarts- und Zukunftsfragen müssen regulärer Bestandteil des Unterrichts sein.
Das Forum Schule bei der Nationalen Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung hat daher in diesem Positionspapier entwickelt, wie die Herausforderungen der Digitalisierung in Schule mit Bildung für nachhaltige Entwicklung verknüpft werden können und welche Bildungschancen und Empfehlungen für die Praxis sich daraus ableiten lassen.
Digitalisierung
Digitalisierung spielt bei der Neuausrichtung schulischer Bildung eine unverzichtbare Rolle. Digitalisierung bietet umfassende Möglichkeiten im Bereich der Kommunikation und des Umgangs mit den wachsenden Wissensbeständen. Sie ermöglicht neue Interaktionsformen und setzt Kreativität für den gesellschaftlichen Wandel frei. Digitalisierung bietet vielfältige Möglichkeiten, schulische Lernprozesse sowohl individueller als auch kollaborativer zu gestalten und hinsichtlich Lerntempo, Aufgabenstellung und Herangehensweisen zu differenzieren.
Der Einsatz digitaler Medien im Unterricht ist jedoch per se nicht motivierender, erst eine didaktisch und methodisch kluge Nutzung digitaler Angebote bietet Lernenden wie Lehrenden einen echten Mehrwert. Skepsis ist daher angebracht, wenn gefordert wird, sämtliche Inhalte und traditionelle Lern- und Unterrichtsformen komplett auf eine virtuelle Lernumgebung umzustellen. Für die Schulen gilt es vielmehr einen Mix aus analogen und digitalen Lernmedien zu entwickeln.
Der durch die Pandemie beschleunigte Einsatz digitaler Medien trifft in den Schulen überdies auf ein dafür unzureichend vorbereitetes Feld. Die bekannten Ausstattungsmängel an Schulen, die sehr unterschiedliche Versorgung im Hinblick auf Hardware, Software und Netzanbindung in den Regionen, der ungeklärte IT-Support oder die zu häufig fehlenden digitalen Kompetenzen des Lehrpersonals sind trotz des Digitalpakts nicht nur temporäre Schwierigkeiten. Sie belegen strukturelle Mängel in der Bildungsverwaltung und verweisen grundsätzlich auf zu geringe Investitionen in die schulische Bildung auf Länderebene.
Die Nutzung digitaler Medien beinhaltet neben sozialen auch ökologische, ökonomische, rechtliche, politische und pädagogische Herausforderungen. So hat die derzeitige Praxis der Digitalisierung gezeigt, dass durch unterschiedliche Lebens- und Lernbedingungen, digitale Ausstattungen und Netzzugänge Bildungsungleichheiten verstärkt werden. Augenfällig sind zudem ungeklärte Fragen im Hinblick auf den Datenschutz bei der Nutzung von Lern- und Kommunikationsplattformen und in Bezug auf die Wahrung der Grund- und Persönlichkeitsrechte von Lernenden. Die häufig nicht hinterfragte Nutzung digitaler Medien ist insbesondere für Kinder und Jugendliche mit Gefährdungen (Cyber-Mobbing, Cyber-Grooming) verbunden. Nicht zuletzt hinterlassen sie Spuren im Netz, die oftmals ein Leben lang erhalten bleiben.
Die Produktion und der Betrieb der Informationstechnik erweisen sich im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung als problematisch: Der ständige Server- und Netzbetrieb und die intensive Nutzung von Endgeräten sind energieaufwändig und stellen eine erhebliche Klimabelastung dar. Ebenso werden die in den elektronischen Geräten enthaltenen wertvollen Rohstoffe teilweise unter in sozialer und ökologischer Hinsicht kritischen Bedingungen gefördert und erst zu einem geringen Anteil der Wiederverwendung zugeführt.
Bereits vor der Corona-Pandemie nutzten mehr als zwei Drittel der Jugendlichen mindestens einmal pro Woche für Schularbeiten das Internet. Insbesondere YouTube-Videos werden von ihnen als Lernmethode mit dem höchsten Erkenntnisgewinn angesehen. Die digitalen Medien und Technologien werden den Alltag der Schüler*innen weiter durchdringen, jedoch müssen deren Potentiale besser genutzt werden und auch kritisch hinterfragt werden. Bildung ist jedoch nur dann zukunftsfähig, wenn sie den Anforderungen einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der SDGs gerecht wird. Die aktuelle Digitalisierungspraxis an Schulen wird diesem umfassenden Bildungsanspruch nicht in ausreichender Weise gerecht. In den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) aus dem Jahr 2016 wird die „aktive und selbstbestimmte Teilhabe an der digitalen Welt“ und das „Primat [des] Pädagogischen [zu] folgen“ bei der Gestaltung digitaler Lernumgebungen gefordert. Bei der praktischen Umsetzung in den Bundesländern liegt der Schwerpunkt jedoch einseitig auf der technischen Umsetzung und der Entwicklung anwendungsorientierter Qualifikationen. Darüberhinausgehende digitale Gestaltungskompetenzen und eine didaktische Auseinandersetzung mit der Digitalisierung finden zu wenig Berücksichtigung.
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
Das Konzept von BNE bietet eine Orientierung, wie mit digitaler Unterstützung Lerngegenstände multiperspektivisch und mehrdimensional aufbereitet und wie vernetztes Wissen sowie systemisches Denken gefördert werden können. Dies setzt auch die stärkere Beteiligung der Schüler*innen an der Gestaltung des digitalen Wandels voraus. BNE bietet eine wissenschafts- und erfahrungsbasierte Grundlage, um Antworten auf nicht zukunftsgerechte Entwicklungen in einer digitalisierten und globalisierten Welt zu finden. Sie ermöglicht, sich mit den Werten und Zielen einer nachhaltigen Entwicklung und zentralen Handlungsfeldern – wie der Digitalisierung – kritisch und konstruktiv auseinanderzusetzen.
Die Verankerung von BNE ist jedoch trotz der Verabschiedung des Nationalen Aktionsplans Bildung für nachhaltige Entwicklung im Juni 2017 und der Zustimmung der für die schulische Bildung zuständigen Länder erst unterschiedlich weit vorangeschritten. Zwar wird BNE im Schulunterricht zunehmend als Querschnittsaufgabe verankert und hat vor allem Eingang in die Lehrplanerstellung und die schulische Fortbildung gefunden. Im täglichen Unterrichtsgeschehen und im Alltag vieler Schulen sowie im Lehramtsstudium steht BNE jedoch erst am Anfang.
Festzuhalten ist, dass BNE vielfältige Lernchancen in der Verknüpfung mit digitalen Medien und dem Lernen in einer digitalisierten Welt bietet. Eine solche Schul- und Unterrichtsentwicklung sollte künftig in weit höherem Maße erfahrungs- und wissenschaftsbasiert erfolgen. Nur dann können sich die digitalen Möglichkeiten und die Ausrichtung an Zukunftsfragen für die schulische Bildung und Erziehung als förderlich und gewinnbringend erweisen.
Potentiale
Die Vernetzung in der digitalen Welt bietet das Potential, weltweit Wissen zu generieren, Menschen miteinander zu verbinden und Lösungen zu entwickeln. Auf diese Weise können besonders gut Themenstellungen einer nachhaltigen Entwicklung, sowohl individuell als auch gemeinsam, umfassend bearbeitet werden. Digitalisierung begünstigt die Beschäftigung mit den aktuellen Zukunftsthemen – einem zentralen Leitgedanken von schulischer BNE.
Wenn digitale Kompetenzen in Lernprozessen gefördert werden, kann dies wesentlich zur Urteils- und Handlungskompetenz von Kindern und jungen Menschen in Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung beitragen. Die Kenntnisse und Erfahrungen aus dem Alltag von Kindern und Jugendlichen und deren Umgang mit digitalen Technologien und Kommunikationsformen in der Schule sollten jedoch stärker genutzt sowie didaktisch und methodisch weiterentwickelt werden. Dabei gilt es zu beachten, dass das digitale Lernen, das wesentlich auf selbstgesteuerten Lernprozessen beruht, auch die weniger leistungsstarken Schüler*innen anspricht. Das Potenzial der digitalen Welt im schulischen Raum sollte sinnvoll genutzt werden, um jungen Menschen „die aktive Mitwirkung an einer nachhaltigen Entwicklung dadurch zu ermöglichen, dass Lernangebote und Möglichkeiten für bürgerschaftliches Engagement geschaffen und sie mit Kompetenzen und Instrumenten ausgestattet werden, um durch Beteiligung an BNE zum individuellen und gesellschaftlichen Wandel beizutragen.“
Unterrichts- und Schulentwicklung durch BNE und Digitalisierung
BNE steht für den Anspruch, dass alle Lernenden ihre individuellen Potentiale für ihre eigene und die gesellschaftliche Entwicklung nutzen. Dafür müssen Schüler*innen alle ihre kognitiven, emotionalen und sozialen Kompetenzen und Begabungen entwickeln und ihre eigenen Werthaltungen, ihr Verständnis der Welt und ihre Haltung zur Welt ausbilden können. Die Auswertung der Medienkonzepte der Länder und der KMK ergeben, dass sowohl Digitalisierung als auch Bildung für nachhaltige Entwicklung bisher kaum Querverweise und Verbindungen aufweisen. Dadurch bleiben Entwicklungschancen ungenutzt.
Digitale Lernwerkzeuge wie u.a. Learning Apps, Foren, Communities, Blogs, digitale Texte und Videotutorials können den Unterricht in vielfältiger Weise unterstützen. Beispielsweise wird das disziplinübergreifende Lernen gefördert, wenn, etwa durch die Verknüpfung der Erkenntnisse aus Physik, Technik, Geographie und Politik, Klimaauswirkungen behandelt und klimapolitische Maßnahmen und Beschlüsse reflektiert werden. Besonders bei solch hochkomplexen Sachverhalten, für die eine Betrachtung allein aus einer Fachperspektive nicht ausreicht, wird so die Ausbildung von vernetztem Wissen sowie systemischem und kritischem Denken ermöglicht.
Grundsätzlich kranken die Bildungs- und Unterrichtspläne oftmals daran, dass Zukunftsthemen noch zu wenig oder nicht angemessen behandelt werden. Zudem ist der Unterricht der einzelnen Fächer ist in der schulischen Realität noch zu wenig vernetzt, um aufeinander aufbauende Lernprozesse mit interdisziplinären Bezügen zu fördern, die verschiedene Dimensionen und Perspektiven einer nachhaltigen Entwicklung einbeziehen.
Schließlich sollten die Schulen selbst den Weg zu nachhaltig handelnden Bildungseinrichtungen einschlagen, indem sie Lernende und Lehrende durch demokratische Teilhabe in nachhaltige Entwicklung einbinden und ihre Einrichtungen und auch ihren digitalen Betrieb zukunfts- und nachhaltigkeitsorientiert gestalten.
Umgang und kritische Auseinandersetzung mit digitalen Quellen
Die systematische Förderung der digitalen Medien- und Informationskompetenz der Schüler*innen ist eine zentrale Aufgabe schulischer Bildung. Die Informationsgewinnung aus Quellen war schon immer Bestandteil des Unterrichts in vielen Fächern. Der immense Umfang und die Vielfalt der im Netz zur Verfügung stehenden Informationen führen zu Überforderungen nicht nur bei Schüler*innen, sondern in Teilen auch bei Lehrkräften. In der Praxis lässt sich beobachten, dass sich die Schüler*innen in erster Linie auf Sekundärquellen wie Wikipedia verlassen, ohne sich an den Originaltexten oder – quellen zu orientieren. Ebenso mangelt es den Schüler*innen an Möglichkeiten und Kompetenzen einschätzen zu können, ob eine Quelle faktenbasiert, meinungsgesteuert oder verzerrt Sachverhalte darlegt oder gar Fake-News und Verschwörungsmythen verbreitet werden.
Für Themenstellungen nachhaltiger Entwicklung kann dies fatale Auswirkungen haben, da die Beurteilung komplexer Sachverhalte, die fast immer mit Zielkonflikten verbunden sind, hohe Urteilskompetenz verlangt. Zudem geht es bei solchen Lernprozessen häufig darum mit Unsicherheiten von Erkenntnissen, Risiken und Unwägbarkeiten sowie Widersprüchen umzugehen. Die hierfür erforderlichen Fähigkeiten, Informationen einschätzen, abwägen und beurteilen zu können, werden besonders durch Bildung für nachhaltige Entwicklung gefördert. Sie bilden eine essentielle Grundlage für die spätere Ausbildung, das Studium und die Berufsausübung.
Die Nutzung des Internets erfordert eine Auseinandersetzung mit Informationsflut und unzulässiger Beeinflussung. Daher gilt es Fähigkeiten zu entwickeln, die im Netz angebotenen Seiten einordnen und beurteilen zu lernen. Digitale Souveränität setzt ein Verständnis der durch Algorithmen gesteuerten Prozesse im Netz voraus und qualifiziert für den umsichtigen Umgang mit Social Media und das Erkennen von Fake-News, Filterblasen und gelenkter Information. Die so erworbenen Kompetenzen bilden die Voraussetzung dafür, das Recht der informationellen Selbstbestimmung reflektiert wahrzunehmen. Insofern bedingen digitale Kompetenzen und Gestaltungskompetenzen im Sinne von BNE einander.
Verbesserung von Qualität und Organisation von Lehr-/Lernprozessen
Die Nutzung digitaler Technologien und Medien wird in allen Fächern, Schulformen und Schulstufen zukünftig noch umfassender Einzug halten und unverzichtbarer Bestandteil von Unterricht sein. Für Themenstellungen nachhaltiger Entwicklung ist dies wünschenswert, da diese auf aktuelle, mehrperspektivische, praxistaugliche und anschauliche Materialien angewiesen sind.
Digitale Werkzeuge bieten zudem zeitgemäße Möglichkeiten der Informationspräsentation und des Informationsaustauschs. Sie ermöglichen es, Lerngelegenheiten adaptiv zu gestalten, alternatives Denken (z.B. durch Szenarien) und kreative Lösungen durch experimentelle Praxis und die Entwicklung von Visionen zu fördern. Damit bekommen die für BNE typische kollaborativen Lern- und Arbeitsformen eine größere Bedeutung. Es ist notwendig die Didaktik und Methodik des digitalen Lehrens und Lernens fortzuentwickeln. Hier ist auch zu berücksichtigen, dass die Jugendlichen ihre eigenen Zugänge entwickeln, das Web und andere digitale Angebote zu nutzen.
Digitale Systeme unterstützen bereits jetzt die Lehrkräfte bei der Verwaltung von Daten der Lernenden, der Unterrichtsgestaltung und der Ergebnissicherung, der Leistungsbeurteilung und beim individuellem Feedback. Letzteres ist gerade bei den für BNE typischen individuell differenzierenden Lernprozessen ein wichtiger Faktor. Dabei trägt die Bereitstellung von Lernmaterialien, Aufgabenstellungen und Wissenstests auf einheitlichen Oberflächen (Lernmanagement-Systemen auch zur Entlastung der Lehrkräfte und zur Effizienzsteigerung ihrer Arbeit bei.
Konsequenzen des eigenen Verhaltens auf Menschen in anderen Erdteilen und auf die nächsten Generationen
Das Verständnis für das Zusammenleben in der Einen Welt kann beispielsweise durch Animationen, dynamische Simulationen, neue Lernformate etwa durch Partnerschaften und kollaborative Projekte gestärkt werden. Dadurch können Schüler*innen sich untereinander in ihren Lerngruppen, aber auch regional, national oder international vernetzen.
Themenstellungen können so leichter unter verschiedenen Perspektiven betrachtet und die Erfahrungen an verschiedenen Orten der Welt genutzt werden. Lebens- und Arbeitsbedingungen in Industrieländern und Ländern des Globalen Südens, Klimafolgenabschätzungen, Chancen und Risiken technischer Entwicklungen und der Globalisierung, Auswirkungen von Konsum und Produktion sind beispielsweise relevante Themenstellungen einer nachhaltigen Entwicklung mit lokalen bis hin zu globalen Bezügen.
Jugendliche als Akteur*innen des unterrichtlichen Wandels
Jugendliche sind eigenständige Akteur*innen bei digitalen Medien und digitaler Kommunikation. Dies betrifft sowohl ihre Formen der Kommunikation untereinander als auch ihre eigenständige Erschließung und Nutzung von Vermittlungsangeboten und Wissensbeständen im Netz etwa über YouTube und andere Plattformen. Im Sinne der für BNE maßgeblichen Projektorientierung ergeben sich dadurch für den Unterricht neue digitale Möglichkeiten – auch über Podcasts, Videos und Webseiten hinaus.
Solche Formen des Lernens und des Austauschs, die auch in Schule hineinwirken, müssen jedoch didaktisch und methodisch reflektiert werden. Es gilt zudem, gemeinsam Qualitätsmaßstäbe und neue Möglichkeiten der Unterrichtsplanung und -entwicklung in Peer-to-Peer-Formaten und kollaborativen Settings zu entwickeln und damit die Lernende als gestaltende Akteur*innen in Lernprozessen zu stärken.
Teilhabe an Bildung und Nutzung digitaler Angebote
Der Bildungshintergrund und die digitalen Kompetenzen der Eltern haben deutlichen Einfluss auf das allgemeine und digitale Lernverhalten von Kindern und Jugendlichen. Zur Sicherung der Teilhabe an Bildung müssen daher alle Schüler*innen über die notwendigendigitalen Kompetenzen, angemessene Hard- und Software sowie ausreichenden Netzzugang verfügen können.
Nur wenn dies gegeben ist, erweitert die Verwendung von digitalen Medien, Techniken und Angeboten das Spektrum des schulischen Lernens. Es gilt Zugänge zu unterschiedlichen Wissensbeständen und Lernplattformen sowie neuen Verarbeitungs-, Präsentations- und Kommunikationsmöglichkeiten zu ermöglichen. Systemwissen und fachspezifisch zu entwickelnde Kompetenzen können im Bereich von BNE beispielsweise durch unterschiedlichste Simulationsspiele, Videos und Apps unterstützt und aufgebaut werden. Insbesondere Open Educational Resources (OER) als Bildungsmaterialien mit offener Lizenz sowie Open-Source-Programme mit öffentlichem Quelltext bieten Möglichkeiten eines von wirtschaftlichen Interessen unabhängigen Lehrens und Lernens. Creative Commons (CC) o.ä. bieten sich zur Frei- und Weitergabe rechtlich geschützter Inhalte an. Weitreichende Transparenz sowie die Nutzung von etablierten und offenen Standards sichern die digitale Souveränität.
Partizipation und Gestaltungskompetenz
Nachhaltige Entwicklung kann nicht als Top-Down-Prozess erfolgreich gestaltet werden, sondern lebt von der aktiven Partizipation und der bewussten Wahrnehmung dieser Beteiligung. Digitale Komponenten sind für eine transparente und fortlaufende Beteiligung an Entscheidungsprozessen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft unabdingbar.
BNE zielt daher auf Lehr- und Lernformen ab, die es erlauben, nachhaltige sozio-ökologische Transformationen im Sinne der SDGs aktiv mitzugestalten. BNE und digitales Lernen in der Schule können wesentlich dazu beitragen, die Schüler*innen beim Erwerb dieser Gestaltungskompetenzen zu unterstützen. „Kinder und Jugendliche müssen beteiligt werden, damit die jüngere Generation Gegenwart und Zukunft aktiv mitgestalten kann. Die Demokratisierung von Schule ist ein zentrales Element, um durch Mitgestaltung in Schule und Gemeinwesen Selbstwirksamkeit zu erfahren.“ Auch für die Schulentwicklung gilt: Nur unter dieser Beteiligung von Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern gelingt ein solcher Prozess der Transformation von Schulen zu nachhaltig handelnden Bildungseinrichtungen.
Begleitumstände und Folgen der Digitalisierung
Die notwendige Modernisierung der Schulen kann nur dann durch die Verknüpfung von Digitalisierung und BNE erfolgreich gelingen, wenn sie den Anforderungen an schulische Bildungsprozesse gerecht wird.
Digitalisierung wird jedoch auch von Umständen begleitet, die den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung entgegenstehen. BNE bietet eine Orientierung, wie eine unreflektierte Übernahme digitaler Technologien, die allein einer zweckrationalen ökonomischen Logik folgen, im Bildungsbereich verhindert werden kann.
Bei der Nutzung der digitalen Technik können Schulen Vorbild für eine nachhaltige Entwicklung sein. Ein Produktdesign, das eine längere Nutzungsdauer ermöglicht, Reparaturen und technische Modernisierung vereinfacht und verantwortliches Recycling begünstigt, sind beispielsweise Instrumente einer nachhaltigen Produktpolitik im Sinne einer Kreislaufwirtschaft. Dies lässt sich u.a. mit „Green School-IT-Lösungen“ mit wiederverwendbarer Hardware, Open Source Software und der Unterstützung fairer IT-Lösungen realisieren.
Empfehlungen/ Forderungen
BNE bietet sich als orientierendes Konzept für eine Neuausrichtung schulischen Lernens an – auch in Hinblick auf das digitale Lernen und eine nachhaltige Digitalisierung der Schulen. BNE ermöglicht eine sachgerechte Beschäftigung mit den hochkomplexen Themenstellungen nachhaltiger und nicht nachhaltiger Entwicklung in der Schule, die digitalisierte Lebenswelt inbegriffen. Der Unterricht der Zukunft sollte daher Themenstellungen einer nachhaltigen Entwicklung viel stärker aufgreifen, systemisches Denken fördern und zum Handeln befähigen. Ebenso sollte er aus dem Blickwinkel der Schüler*innen mit ihren Bedürfnissen und Interessen entwickelt werden und den zunehmend digitaler werdenden Alltag aufgreifen.
Außerdem müssen der Erwerb digitaler Kompetenzen sowie der Zugang zu Bildungsangeboten und die Bereitstellung von digitaler Infrastruktur und Ausstattung für alle Schüler*innen gewährleistet sein und sind somit als Voraussetzungen für Chancengleichheit unabdingbar. Im Bildungsfinanzbericht des Statistischen Bundesamts werden die Soll-Ausgaben (Grundmittel) der öffentlichen Haushalte für Bildung im Bereich „Allgemeinbildende und berufliche Schulen“ im Jahr 2019 auf insgesamt 72,9 Mrd. Euro beziffert. Um die im Folgenden vorgeschlagenen Maßnahmen realisieren zu können, sollten etwa zwei Prozent der Soll-Ausgaben hierfür kalkuliert werden, was etwa rund 1,5 Mrd. Euro entspräche.
Im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit unserer Bildung ist daher eine Bildungsreform notwendig, die BNE und die Potentiale digitalen Lernens vereint. Die bisherige unterschiedliche Praxis der Schulentwicklung in den Ländern und das Fehlen eines bundesweiten Masterplans werden den Herausforderungen der Zukunft nicht gerecht. Bildungspolitik, Bildungsadministration und Wissenschaft sind aufgefordert, sich länderübergreifend und bundesweit abgestimmt den Herausforderungen zu stellen. Für die Umsetzung ist eine Strategie zu entwickeln, die alle Aspekte dieser Reform aufgreift.
Die Verantwortung für die Gestaltung der schulischen Bildungsprozesse vor Ort liegt im Rahmen der staatlichen Vorgaben gemeinschaftlich bei den Schulen und Schulträgern, die sich bei der Umsetzung der Digitalisierung vor komplexe neue Anforderungen gestellt sehen. Schulen und (kommunale) Träger stehen in einer gemeinsamen Verantwortung, dass der Weg zu zukunftsorientiert handelnden Einrichtungen beschritten wird. Lokale und regionale Bildungsakteure sollten in diese Prozesse eingebunden werden.
Eine besondere Herausforderung für die politische Steuerung ergibt sich jedoch aus der Heterogenität institutioneller Strukturen und Zuständigkeiten, auch über die Bildungsbereiche (Kindertageseinrichtungen, Schule, Weiterbildung, informelle Bildung) hinweg. Diese erweist sich in vielfacher Hinsicht als Hemmnis für eine nachhaltige Schulentwicklung und einen Unterricht der Zukunft. Dabei sollte eine zu komplizierte und zeitaufwändige Antrags- und Verwaltungspraxis bei der Modernisierung der Schulen vereinfacht werden, zudem muss Schulverwaltung mit den notwendigen personellen und sächlichen Ressourcen angemessen ausgestattet werden. Daraus ergeben sich folgende Empfehlungen und Forderungen:
Einheitliche und gemeinsame Anforderungen und Standards
Es ist unabdingbar, sich auf möglichst breiter Basis bei der digitalen Ausstattung von Schulen auf einheitliche und gemeinsame Anforderungen und Rahmenbedingungen sowie Standards für den Datenschutz zu verständigen. Die Beschaffung, der Betrieb und die Wartung von Hard- und Software sollte sich am Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung orientieren, wobei als grundlegende Standards die acht Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation, die Leitprinzipien des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte und der Deutsche Nachhaltigkeitskodex berücksichtigt werden sollten. Die Entwicklung ökologisch, ökonomisch, sozial und global verantwortlicher Kriterien für die Beschaffung sollten wissenschaftlichen Standards entsprechen und von den Ländern bundesweit abgestimmt in ihre Leistungsbeschreibungen übernommen werden.
Software, Lernplattformen, Materialdatenbanken bzw. Lern-Management-Systeme
Es muss geprüft werden, welche bereits etablierten Softwarelösungen, Lernplattformen, Materialdatenbanken und Lern-Management-Systeme (LMS) vorhanden und verwendungsfähig sind oder ggfs. weiterentwickelt werden sollen. Doppel- und Mehrfachstrukturen in Bund, Ländern und Kommunen sind dabei zu vermeiden. Wo es möglich ist, sollten Open Source-Lösungen präferiert werden. Eine unabhängige Qualitätssicherung der staatlichen und kommerziellen Bildungsangebote ist unabdingbar. Diese Klärung muss erfahrungs- und wissenschaftsbasiert erfolgen und einen zukunftsfähigen Inhalts- und Strukturansatz verfolgen. Unbedingt notwendig sind eine länderseitige Zusammenarbeit und Absprache; gleichzeitig sind angemessene Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Unterrichtsmaterialien und digitale Lernumgebungen
Die Entwicklung von zeitgemäßen, digitalen Unterrichtsmaterialien und -formaten sollte dem Grundsatz ‚integrierter Lernumgebungen‘ folgen: D.h., Schulbücher, digitale Lernangebote, Kommunikationsplattformen der Verlage und offene Lernangebote etc. – auch von außerschulischen Bildungspartnern und aus dem Netz – müssen verfügbar, untereinander kompatibel und auf allen schulischen Lernplattformen adaptionsfähig sein. Mit den Schulbuchverlagen müssen entsprechende Regelungen getroffen werden. Die Potentiale, aber auch die Grenzen digitaler Medien, sollten differenziert evaluiert werden in Bezug etwa auf Methodik, Alters- und Zielgruppenangemessenheit. Ebenso müssen für lernschwächere Schüler*innen gute didaktische und methodische Konzepte des digitalen Lernens entwickelt und zur Verfügung gestellt werden. Nur so kann gesichert werden, dass diese Schüler*innengruppe nicht weiter von der Lernentwicklung ihrer Altersgruppe abgekoppelt wird.
Lehrer*innenbildung
Ein Unterricht der Zukunft bedarf der Ausrichtung der Lehramtsstudiengänge an BNE unter Einbeziehung der Möglichkeiten digitalen Lehrens und Lernens. Lehrkräfte
benötigen für das digitale Lehren und die unterrichtliche Verwendung digitaler Medien fachliche Orientierung und professionelle Unterstützung. Im Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung müssen bereits bestehende Angebote zu digital gestütztem Unterricht für BNE-Lernprozesse identifiziert, weiterentwickelt und gezielt gefördert werden. Hier sollten die Bildungswissenschaften und die Fachdidaktiken sowie die Expertise außerschulischer Bildungspartner ergänzend einbezogen werden.Wissenschaftliche Begleitung
Ein Unterricht der Zukunft bedarf der wissenschaftlichen Begleitung in allgemeiner Didaktik, Didaktiken der Fächer, Medienpädagogik und sowie des Einbezugs der Erkenntnisse der BNE-Forschung. Die Erkenntnisse non-formaler Bildung sollten einbezogen werden.
Das Forum Schule der Nationalen Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung hat angesichts der aktuellen beschleunigten Entwicklung der Digitalisierung in unseren Schulen ein Positionspapier „Unterricht der Zukunft“ erarbeitet, um auf die Zusammenhänge von Digitalisierung und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) hinzuweisen und Empfehlungen auszusprechen. Digitalisierung ist auch das erste Schwerpunktthema des nationalen BNE-Prozesses im neuen UNESCO Programm „BNE-2030“. Das Positionspapier wurde von der Nationalen Plattform am 3. Dezember 2021 zustimmend zur Kenntnis genommen. Es steht im engen fachlichen Kontext zu dem ebenfalls durch die Nationale Plattform verabschiedeten übergreifenden Empfehlungspapier „Bildung für nachhaltige Entwicklung – Ein Kompass im digitalen Wandel unserer Gesellschaft“.
In dem Papier des Forums Schule „Unterricht der Zukunft – BNE und Digitalisierung in der schulischen Bildungspraxis“ wird dargelegt, welche Bildungschancen, aber auch welche Herausforderungen für die schulische Bildung durch die Digitalisierung bestehen. Daher wird eine Reflexion der Digitalisierungsprozesse in der jetzigen Situation aus dem Blickwinkel der Schüler*innen, der Lehrer- und der Elternschaft für unbedingt notwendig gehalten, damit diese nicht pädagogischen und schulpraktischen BNE- bzw. NH-Kriterien zuwiderlaufen.
Angesichts der Tatsache, dass erhebliche Mittel für die Digitalisierung und Modernisierung von Schulen bereitstehen und abgerufen werden, möchte das Forum Schule mit diesem Positionspapier Impulse für die Gestaltung der aktuellen und zukünftigen Prozesse geben. In dem Papier werden Empfehlungen für die Praxis der Digitalisierung und für das digitale Lernen entwickelt.